Das Erbe der Wölfe
In jedem freien Hund findet sich ein gutes Stück Wolfs-Seele.
Die genetische Übereinstimmung unseres »zahmen« Hausgenossen mit seine wilden Brüdern beträgt 99,6%! Diese biologische Tatsache verlangt von uns Verhaltensweisen, Körpersprache und Instinkt-Verhalten unserer Hunde neu zu bewerten und seine Intelligenz ebenso wie sein angeboren wölfisches Sozialverhalten stärker als bisher zu respektieren und zu fördern. Alle angenehmen Verhaltensweisen aber auch scheinbares Fehlverhalten lassen sich aus der wölfischen Abstammung ableiten. Ohne das Wissen über die Natur der wilden Verwandten wird der Mensch seinen tierischen Kumpel immer nur halb verstehen und er wird ihn schwerer »führen« können. Um »hündisch« zu lernen müssen wir zunächst wölfisch verstehen.
Der Wolf wurde als Totemtier hoch verehrt, als vorbildlicher Jäger bewundert und respektiert, vom Viehzüchter gefürchtet und von der Kirche im Mittelalter als Tier des Teufels verdammt. Jede dieser Einstellungen kann sich als Einstellung zu unseren Hunden als archaischer Grundsatz gehalten haben, ohne dass uns dies im Umgang mit dem eigenen Hund bewusst wird.
Grausamkeiten, autoritäres Abstrafen aber auch die Idealisierung und Vermenschlichung unseres Tieres hat oft seine Wurzeln in der Kenntnis oder bloßen Vorstellung von wilden Wölfen. Süße Welpen, fürsorgliche Eltern oder aggressive kriegerischer Alpha-Rüden – unser Bild von Wolf und Hund wird auch durch Legenden (Romulus und Remus), Kitsch (Lassie) und Abenteuergeschichten (Wolfsblut) erzeugt.
Historisch und archäologisch bleibt die Geschichte von der Wandlung des Wolfes zum Hund weitestgehend im Dunkeln. Die Zoologen und Anthropologe vermuten 2 mögliche Wege.
- 1. Theorie: Wölfe haben sich von alleine an Menschen herangetraut, sind ihnen gefolgt und haben sich von deren Abfällen ernährt.
- 2. Theorie: Menschen haben aus Mitleid oder Neugier verwaiste Wolfsjungen aufgezogen. Diese haben vielleicht als frühe Wachhunde die menschlichen Schlafstätten beschützt und als Begleiter die Jäger und Sammler vor anderen wilden Tieren gewarnt.
Vielleicht hat der Mensch auch eine echte Zuneigung zu Wölfen entwickelt, weil sie ihm im Sozial- und Jagdverhalten ähnlicher und vertrauter sind als jede andere Spezies.
Wer sich ernsthaft mit dem Wolf auseinandersetzt und ihm mit Respekt (nicht mit Angst) begegnet, wird durch Beobachtung, echtes Wissen und Begeisterung für diese schönen Tiere auch seinen Hund mit anderen Augen sehen und verstehen lernen. Er wird gegen Qualzuchten und Hunde als »Spielzeug« angehen.
Dank neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse dürfen wir heute mit gutem Gewissen unseren Hunden – auch in der Erziehung – ein Stück ihrer »Wolfs-Seele« zurückgeben. Wir können ihm Freiheit und Freiraum zum natürlichen, seiner Art entsprechenden, Lernen geben. Wir können ihm ein Stück Wildheit und einen großen Bewegungs-Radius lassen. Dann werden wir in besonders schönen Momenten bei unserem Hund den »Bruder Wolf« durchscheinen sehen.